Stiebel

Konfession: jüdisch (?), evangelisch

Adelstitel: 1869 sachsen-meiningischer Adelsstand für Heinrich (von) Stiebel (1823–1903), Rentier und vormals kaiserlich mexikanischer Konsul in Frankfurt am Main; 1870 preußische Genehmigung zur Führung des Adelstitels

Über den Adelserwerber Heinrich Herz (von) Stiebel und seine engere Familie war bislang nur wenig bekannt. Stiebel stammte aus einer in Frankfurt alteingessenen und weitverzweigten jüdischen Familie, die seit Mitte des 18. Jahrhunderts im Lotteriegeschäft tätig war (Näheres bei Dietz, Stammbuch). Laut Adelslexikon war er zum Zeitpunkt seiner Nobilitierung jüdischen Glaubens, eine Quelle hierfür wird jedoch nicht genannt; die Familie ist auch nie in den Gotha aufgenommen worden. Der antisemitische Almanach Semi-Gotha bezog sich 1912 nur auf Dietz und nannte den Adelserwerber und seine Familie pauschal »[m]osaisch«. [1]

In der schmalen Akte des Preußischen Heroldsamtes zum Adelstitel wird Stiebels Konfession nicht erwähnt. Der Oberpräsident der Provinz Hessen-Nassau meldete 1870 nach Berlin, Heinrich Herz Stiebel, Rentier in Frankfurt, sei unverheiratet, »in sehr günstigen Vermögensumständen«, früher Lotterie-Haupt-Collekteur in Frankfurt und kaiserlich mexikanischer Konsul, seine Führung und politische Haltung seien nicht zu beanstanden. [2] In seinem vorangegangenen Gesuch an den König um Anerkennung seines ausländischen Adelstitels hatte Stiebel selbst unter anderem erwähnt, er sei »bis zu Ende des Kaiserreiches Mexiko«, also 1867, dessen Konsul in Frankfurt gewesen, Inhaber des kaiserlich mexikanischen Ordens Unserer Lieben Frau von Guadeloupe, Ritter des württembergischen Friedrichs-Ordens, des großherzoglich hessischen Ordens Philipps des Großmütigen und des herzoglich sachsen-ernestinischen Hausordens. [3]

Nur kurz nach der Anerkennung seines Adelstitels in Preußen heiratete Stiebel. Das Fremden-Blatt schrieb Anfang 1870: »Aus Wiesbaden meldet man: Frl. Hermine Ott hat sich mit einem der angesehensten Bürger Frankfurts, Herrn Konsul v. Stiebel, verlobt und wird demzufolge in einigen Monaten der Bühne entsagen.« [4] Am 28. Juni 1871 kam der Sohn Karl von Stiebel zur Welt, der 1891 am Städtischen Gymnasium in Frankfurt das Abitur bestand. Im Schulprogramm wurde er als evangelisch bezeichnet. [5] Über das weitere Leben des Sohns, der Rechts- und Staatswissenschaften studieren wollte, ist nichts bekannt, nur dass er um 1900 von Frankfurt aus Mitglied des Mitteleuropäischen Motorwagen-Vereins war. [6]

Heinrich von Stiebel ist also sehr wahrscheinlich zu einem noch unbekannten Zeitpunkt zum Christentum konvertiert, möglicherweise im Zusammenhang mit seiner Heirat (seine Frau dürfte nichtjüdischer Herkunft gewesen sein), vielleicht aber auch schon früher und vor der Nobilitierung. Die 1842 geborene Hermine geb. Otto (nicht Ott) war Opernsängerin gewesen und soll aus Wien gestammt haben. [7]

Laut Adelslexikon war Stiebel auch Bankier. Diese Angabe muss aber noch näher geprüft werden. Dem Frankfurter Adressbuch von 1877 ist zu entnehmen, dass er dem Aufsichtsrat der Deutschen Creditbank angehörte und unter seiner Privatadresse (in allerbester Frankfurter Lage, nämlich in der Taunusanlage 12) als Kaufmann bezeichnet wird. [8] Ob er auch Teilhaber der Bank war? Die Bezeichnung Bankier hat er jedenfalls selbst offenbar nicht gebraucht.

»Konsul H. von Stiebel« starb 1903. [9]

Literatur: Adelslexikon, Bd. 14 (2003) (= Genealogisches Handbuch des Adels, Bd. 131), S. 120; Maximilian Gritzner, Standes-Erhebungen und Gnaden-Acte deutscher Landesfürsten während der letzten drei Jahrhunderte. Nach amtlichen Quellen gesammelt und zusammengestellt, Bd. 2, Görlitz 1881, S. 645 — Über die Familie siehe Alexander Dietz, Stammbuch der Frankfurter Juden. Geschichtliche Mitteilungen über die Frankfurter jüdischen Familien von 1349–1849 nebst einem Plane der Judengasse, Frankfurt/M. 1907, S. 299–302

Internetressourcen: genealogische Angaben zu Heinrich Herz Stiebel unter https://www.geni.com/people/Heinrich-Stiebel/6000000017824930713 und https://gw.geneanet.org/alanguggenheim?lang=en&n=stiebel&oc=0&p=heinrich+herz (mit Angaben der Geburts- und Heiratsdaten von ihm und seiner Frau)

[1] Weimarer historisch-genealoges Taschenbuch des gesamten Adels jehudäischen Ursprunges [...], Bd. 1 (1912), S. 528.

[2] Der Oberpräsident der Provinz Hessen-Nassau (i.V.) an das Heroldsamt in Berlin, Kassel 26. März 1870. GStA PK, I. HA Rep. 176 Heroldsamt VI S Nr. 183 (unfoliiert).

[3] Immediatgesuch Stiebels, Frankfurt am Main 18. Februar 1870. Ebd. (unfoliiert).

[4] Fremden-Blatt vom 21. Jänner 1870, Morgen-Blatt, I. Beilage (unpaginiert).

[5] Alle Angaben über Karl von Stiebel nach Programm des städtischen Gymnasiums zu Frankfurt a. M. Ostern 1892, Frankfurt/M. 1892, S. 35. Für den Hinweis danke ich Familie Schwartzkopff (Frankfurt am Main).

[6] Zeitschrift des Mitteleuropäischen Motorwagen-Vereins, Bd. 1 (1902), S. 441.

[7] So eine kurze Notiz in Der Ungar. Pesth-Ofner Localblatt, Nr. 233 vom 10. Oktober 1862, S. 939, wonach sie, eine begabte Mezzosopranistin, in Riga Publikumsliebling sei. Aus der Zeit um 1860 gibt es weitere kurze Meldungen zu ihr in verschiedenen Zeitungen.

[8] Adress-Buch von Frankfurt a. M. [...] 1877, hg. von Georg Friedrich Krug, Frankfurt/M. 1877, S. 415 u. 818.

[9] Bericht der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft in Frankfurt am Main 1904, Frankfurt/M. 1904, S. 8. Für den Hinweis danke ich Familie Schwartzkopff (Frankfurt am Main).

Salenmon

Konfession: evangelisch [jüdischer Herkunft]

Adelstitel: nicht vorhanden

Der aus Danzig stammende Konstantin Nathanael von Salenmon (auch Salémon, seltener Salemnon geschrieben) (1710–1797) war preußischer Generalleutnant zur Zeit König Friedrichs II., »des Großen«, bei dem er auf Grund seiner Tapferkeit sehr angesehen war, und hatte gegen Ende seines Lebens auch hohe Verwaltungsämter im westdeutschen Teil Preußens inne. Es lässt sich nicht sagen, dass Salenmon, der seine militärische Laufbahn in polnischen, französischen und kursächsischen Diensten begonnen hatte, der »einzige[ ] jüdische[ ] Offizier der friderizianischen Armee« [1] war, denn er war schon als Kind von seinen Eltern Johann Salomony und Dorothea getauft worden: Ein Offizier jüdischen Glaubens war damals unvorstellbar, daher ist mehr Differenzierung in der Wortwahl geboten.

Salenmons Karriere war aber wohl angesichts seiner jüdischen Herkunft durchaus besonders (eine Frage ist allerdings, wie bekannt diese eigentlich zeitgenössisch war). Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass Salenmon einer von nur ganz wenigen hohen preußischen Offizieren dieser Zeit war, die nicht geadelt wurden. [2] Ob Letzteres mit seiner Herkunft zu tun haben könnte, ist nicht bekannt. Freilich fiel die ausgebliebene Nobilitierung ohnehin kaum auf: Schon zu Lebzeiten, spätestens seit etwa 1760, wurde er regelmäßig mit »de« oder »von« tituliert und nannte sich auch selbst unbeanstandet so. [3] 1755 hatte er mit Anna von Reibold (verwitwete von Reibnitz) überdies eine adlige Frau geheiratet. Der 1758 geborene Sohn aus dieser Ehe, Ludwig Friedrich Christian, wurde ebenfalls Offizier, über sein weiteres Leben fehlen Nachrichten.

Mit der ursprünglich aus dem Elsass stammenden Familie von Salomon war Salenmon mit Sicherheit nicht verwandt, auch wenn etwa Ledeburs Adelslexicon der Preußischen Monarchie (Band 2, 1856) einen entsprechenden Zusammenhang nahelegt. Stattdessen dürfte es reiner Zufall sein, dass der nach Preußen eingewanderte Ludwig Cassian von Salomon (1759–1834) in Wesel zeitweise als Leutnant unter Salenmon diente. Einer seiner Nachfahren war der schillernde Autor Ernst von Salomon, der an der Vorbereitung von Walther Rathenaus Ermordung beteiligt war. Dieser kommt in seinem sehr umstrittenen autobiographischen Roman Der Fragebogen (zuerst erschienen 1951) in einem Abschnitt über die Geschichte seiner Familie auch auf den »verdächtigen Beiklang[ ]«, sprich die in den Augen mancher jüdische Konnotation, des Namens Salomon sowie im selben Atemzug auf General von Salenmon zu sprechen, wobei dessen jüdische Herkunft angedeutet, jedoch nicht ausgesprochen wird. [4] Bemerkenswerterweise heißt es dort über ihn abfällig, er habe 1806 (!) die Festung Wesel widerstandslos an Napoleon übergeben und sei daher unehrenhaft entlassen worden – was völlig aus der Luft gegriffen ist. Wahr ist nur, dass Salenmon in der Zitadelle Wesel bis 1787 ein Infanterieregiment kommandiert (und Salomons Vorfahr in diesem gedient) hatte.

Literatur: Kurt von Priesdorff (Hg.), Soldatisches Führertum, Bd. 1, Hamburg o.J. [1937], S. 508–510; Walther Grosse, Artikel »von Salémon, Konstantin Nathanael«, in: Altpreußische Biographie, Bd. 2, Marburg/Lahn 1967, S. 583f.

Internetressourcen: Artikel »Konstantin Nathanael von Salenmon« in der deutschsprachigen Wikipedia (mit weiterer Literatur); Abschnitt »Umstrittener Angehöriger« im Artikel »Salomon (Adelsgeschlecht)«, ebd.

[1] So Grosse, S. 583f.

[2] Darauf weist schon Johann Georg August Galletti, Fortsetzung der Algemeinen Welthistorie [...], T. 62, Halle 1796, S. 184, hin. Grosse, S. 583, nimmt fälschlicherweise an, Friedrich II. habe Salenmon (offenbar um 1760/70) geadelt.

[3] In der Kapitulationserklärung der Festung Wittenberg vom 14. Oktober 1760 (abgedruckt unter anderem in: Teutsche Kriegs-Canzley auf das Jahr 1760, Bd. 2, Frankfurt etc. 1760, S. 509f., hier S. 510) findet sich die deutsche wie die französische Variante.

[4] Ernst von Salomon, Der Fragebogen, Reinbek 1961, S. 53–85 (als Antwort auf Frage Nr. 18 im Fragebogen der US-Militärregierung im Rahmen der Entnazifzierung: »Aufzählung aller Ihrerseits oder seitens Ihrer Ehefrau oder Ihrer beiden Großeltern innegehabten Adelstitel«), hier S. 54 u. 70–72 (Zitat S. 54). Die mit den preußischen von Salomons verwandte Familie Pfeffer von Salomon, aus der hohe Nationalsozialisten hervorgingen, änderte ihren Namen 1941 sogar amtlich in von Pfeffer. Siehe dazu Mark A. Fraschka, Franz Pfeffer von Salomon. Hitlers vergessener Oberster SA-Führer, Göttingen 2016, S. 329–323 (wo die nicht vorhandene jüdische Herkunft, Auseinandersetzungen darum mit missliebigen anderen Nationalsozialisten und die Verwandtschaft mit Ernst von Salomon thematisiert werden, nicht aber Konstantin Nathanael von Salenmon erwähnt wird). Schon einige Jahrzehnte früher war, wie Fraschka zeigt, »von Pfeffer« als Schreibweise gebräuchlich gewesen, wobei offen bleiben muss, ob dies allein an der scheinbar jüdischen Herkunft des anderen, erheirateten Namensbestandteils lag.

Born

Konfession: katholisch

Adelstitel: 1880 österreichischer Freiherrnstand für Julius (Freiherrn von) Born (1840–1897), Bankier in Berlin und Direktor der Berlin-Stettiner Eisenbahn (als Träger des Ordens der Eisernen Krone 2. Klasse)

Born war jüdischer Herkunft und auch Großgrund- und Bergwerksbesitzer in der Krain. Von seinen Söhnen Friedrich und Karl wurde ersterer im Holocaust ermordet. Die Familie besaß sowohl die deutsche als auch ungarische Staatsbürgerschaft. Wann sie konvertierte, ist bislang nicht bekannt. Bemerkenswert ist, dass die Familie noch 1941 im Gotha erscheint; vielleicht hoffte sie, sich durch eine Initiativaufnahme und den Hinweis auf ihren katholischen Glauben (die jüdische Herkunft wurde im Familienartikel nicht erwähnt) vor Verfolgung zu sichern.

Literatur: Adelslexikon, Bd. 2 (= Genealogisches Handbuch des Adels, Bd. 58), Limburg a. d. Lahn 1974, S. 15; Peter Frank-Döfering (Hg.), Adelslexikon des österreichischen Kaisertums 1804–1918, Wien etc. 1989, S. 250; Gothaisches genealogisches Taschenbuch der freiherrlichen Häuser, Bd. 91 (1941), Teil B, S. 36; Genealogisches Handbuch der Freiherrlichen Häuser, Reihe B, Bd. 6 (= Genealogisches Handbuch des Adels, Bd. 62), Limburg/Lahn 1976, S. 60–62

Internetressource: Beitrag »Auf den Spuren der Barone von Born« von 2010 auf der Website des ORF (über den Gutsbesitz der Familie im heute slowenischen Jelendol bei Tržič, mit Foto der Grabstätte für die Barone Julius und Karl von Born)

Wittal

Konfession: jüdisch

Adelstitel: wohl nicht vorhanden

Über den »Baron Kain de Wittal« (in Schweden auch: »Vital«), offenbar ein Hochstapler, ist nur wenig bekannt. 1796 erklärte er den Bremer Behörden, er stamme aus »Baschadzara in der Krim«, sei 1768 geboren und Sohn des dort auf einem Gut ansässigen »Baron Aaron de Wittal«; der Adelstitel sei ihrem Vorfahren, einem portugiesischen Juden, von Kaiser Karl V. (also in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts) verliehen worden. [1] Bei Wittals angeblichem oder tatsächlichem Herkunftsort handelt es sich gewiss um Bachtschyssaraj, die Hauptstadt des bis zur russischen Annexion von 1792 bestehenden Krim-Khanats.

Ebenfalls 1792 begann Wittals kurze Karriere als schillernder Financier in Stockholm und anderen wichtigen Städten Nordeuropas. Er unterhielt Beziehungen unter anderem zum Herzog von Södermanland (dem schwedischen Prinzregenten und späteren König Karl XIII.) und wurde 1793, nicht zuletzt wegen seines angeblichen Adelstitels, sogar einmal für Schweden in diplomatischer Mission nach Sankt Petersburg geschickt. Bereits 1794 wurde er in Kurhannover auf schwedischen Antrag wegen Betrugs und Bankrotts festgenommen, 1798 zu zehn Jahren Zuchthaus in Stade verurteilt.

Das bislang letzte bekannte Lebenszeichen Wittals stammt von Anfang 1800. Unter anderem in der National-Zeitung der Deutschen war zu lesen:

Ein jüdischer Baron im Zuchthause.
Ein gewisser jüdischer Baron Cain de Wittal wurde vor einigen Jahren auf Ansuchen des schwedischen Hofes, an welchen er eine große Schuldforderung machen wollte, von Hannover angehalten und saß bey Bremen gefangen. Noch während dieser Gefangenschaft machte er fürstlichen Aufwand, welcher einen ungeheuren Bankrott und ein Urtheil zur Folge hatte, welches ihn zu 10jähriger Karrenstrafe verurtheilte. Nur seinem schwächlichen Körper hat er es zu vedanken, daß er jetzt nach dem Cellischen Zuchthause abgeführt worden ist. Er hat noch immer sehr hochfliegende Ideen und will z. B. Veranlassung zu dem letzten Schwedisch-Russischen Kriege gegeben haben. [2]

Danach verliert sich seine Spur.

In seinem Erscheinungsbild soll Wittal jüdische Traditionen und modische Eleganz auf eindrucksvolle Art miteinander verbunden, im Übrigen die jüdischen Riten genau eingehalten haben. Sein Schwiegervater war der livländische Ritterschaftskommissar Samuel Simon genannt Schmuel. [3]

Literatur: Bernt von Schinkel, Minnen ur Sveriges nyare historia, hg. von Carl Wilhelm Bergman, T. 3: Förmyndar-Regeringen (1792–1796), Stockholm 1853, S. 94–97; Peter Deeg, Hofjuden, hg. von Julius Streicher, Nürnberg 1939, S. 31–37 (antisemitisch!; zwischen S. 34 u. 35 Abbildung eines zeitgenössischen Porträts samt Schriftzug »Baron de Wittal« aus einer Akte des Staatsarchivs Hannover)

[1] Deeg, Hofjuden, S. 32f. (mit Zitaten aus dem Protokoll von 1796).

[2] National-Zeitung der Deutschen vom 30. Januar 1800, Sp. 101f.; desgleichen Münchner Oberdeutsche Staatszeitung vom 7. Februar 1800 (unpaginiert). Mit dem Krieg muss derjenige zwischen Russland und Schweden 1788 bis 1790 gemeint sein.

[3] Dieser war ein Verwandter des Bankiers und kurländischen Hofjuden Lipmann (Tatjana Aleksejeva, Jüdisches Schicksal im Herzogtum Kurland im 17. und 18. Jahrhundert, in: Erwin Oberländer [Hg.], Das Herzogtum Kurland 1561–1795. Verfassung, Wirtschaft, Gesellschaft, Bd. 2, Lüneburg 2001, S. 239–276, hier S. 255).

Jüdische Adlige in Israel?

Gibt es eigentlich jüdische Adlige in Israel bzw. sind Adlige jüdischen Glaubens nach Palästina/Israel eingewandert? Die Balfour Declaration von 1917 war ja an Lord Rothschild als besonders prominenten Juden gerichtet, und vor allem in Großbritannien symphatisierten noch weitere (doch keineswegs alle!) jüdische Adlige mehr oder weniger mit dem Zionismus. Insbesondere die Familie Rothschild spendete mit der Zeit auch viel Geld für Projekte im heutigen Israel, womit unter anderem das Gebäude der Knesset, des israelischen Parlaments, errichtet wurde. Nicht von ungefähr ist der Rothschild Boulevard eine der wichtigsten Straßen Tel Avivs (in jüngster Zeit auch im Ausland etwas bekannter geworden durch zeltende Demonstranten).

wolfgang-von-weislDoch wie steht es nun mit jüdischen Trägern von Adelstiteln in Israel? Kein geringerer als Theodor Herzl hatte sich das um 1900 anfangs lebhaft ausgemalt: huldvoll jüdische Adlige im jüdischen Staat willkommen zu heißen, aber auch selbst neue Adelstitel an verdiente Juden zu verleihen. [1] Dazu kam es nicht. Tatsächlich sind wohl nur ganz wenige adlige Juden nach Palästina/Israel gegangen; die Rothschilds und viele andere, oft vermögende Familien wären nie ernsthaft auf die Idee gekommen, dorthin zu emigrieren.

Eine wichtige Ausnahme ist immerhin der aus Wien stammende, Anfang der 1920er Jahre nach Palästina emigrierte Wolfgang von Weisl (1896–1974). Der Arzt, Publizist und k. u. k. Weltkriegsoffizier nannte sich später Binyamin Ze’ev von Weisl und war ein Protagonist der revisionistischen Strömung des Zionismus. Seinen markanten Nachnamen hebräisierte er also interessanterweise nicht, sondern blieb als Angehöriger des europäischen Adels sichtbar! Formell gab es seit 1919 übrigens eigentlich gar keinen Adel und keine Adelstitel mehr in Österreich, aber das ist eine andere Geschichte.

eitan_avisharOffizier erst in Österreich, dann in Israel war Sigmund (1916 bis 1919 Edler von) Friedmann (1892–1964). [2] Als Hauptmann und Veteran des Ersten Weltkriegs war Friedmann von 1934 bis 1938 Vorsitzender des (österreichischen) Bundes Jüdischer Frontsoldaten (BJF). Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich und einem halben Jahr Haft nach Palästina emigriert und überzeugter Zionist geworden, nannte er sich dort Eitan Avis(h)ar, brachte es bis zum General und stellvertretenden Stabschef der jüdischen Untergrundarmee Hagana, später wurde er erster Präsident des Obersten Militärgerichtshofes von Israel. Darüber hinaus verfasste er mehrere Bücher zu militärtheoretischen und -geschichtlichen Themen.

[1] Siehe dazu Drewes, Jüdischer Adel, S. 11–13.

[2] Über ihn siehe zum Beispiel Michael Berger, Für Kaiser, Reich und Vaterland. Jüdische Soldaten. Eine Geschichte vom 19. Jahrhundert bis heute, Zürich 2015, S. 148f. Sein Vater Moriz (1916 bis 1919 Edler von) Friedmann (1851–1932) war Berufsoffizier und im Weltkrieg als Oberstleutnant geadelt worden (Peter Frank-Döfering [Hg.], Adelslexikon des österreichischen Kaisertums 1804–1918, Wien etc. 1989, S. 303). Die Todesanzeige der Familie auf ihn setzte, 13 Jahre nach dem Adelsaufhebungsgesetz, das »Edle[r] von« beim Toten und allen Familienmitgliedern in Klammern und nennt als seinen letzten Dienstgrad Oberst (in Pension).

Die Rathenaus im Semi-Gotha

Die hauptsächliche Erwähnung des Industriellen Emil Rathenau im völkisch-antisemitischen Semi-Gotha findet sich in Bd. 1 von 1912 auf S. 491:

emil-rathenau_semi-gotha1
Rathenau-Eintrag im Semi-Gotha (1912) (Digitalisat: Google Buchsuche)

Das vollständige Zitat lautet:

»R a t h e n a u Emil, ✡ [1] Berlin 11.12.[18]38, Geh.[eimer] Baurat Dr. Ing. h. c., Dir.[ektor] d.[er] Allg.[emeinen] Elektr.[icitäts] Ges.[ellschaft], der Akkumul.[atoren]-Fabr.[ik] usw., als 28facher Verwalt.[ungs]-Rat 65 000 M[ar]k. jährlich steuernd, dessen Nobilitierung im Zuge oder schon erfolgt ist? Sein Sohn Dr. Walter R.[athenau] erwarb v.[origes] J.[ahr] [2] das k[köni]gl.[iche] Schloß F[r]eienwald b.[ei] Berlin für 252 000 M[ar]k. für sich als Sommersitz. Sind mosaisch und oben unerfreulich gut angeschrieben.«

Der letzte Satz macht deutlich, dass die Autoren nicht zuletzt Wilhelm II. kritisierten: Prominente Juden hätten einen großen (und also nach antisemitischer Lesart unheilvollen) Einfluss auf den Monarchen. Dabei war Wilhelm II. selbst starker Antisemit; seine angebliche Absicht, die bedeutende Industriellenfamilie Rathenau mit einem Adelstitel zu ehren, ist völlig aus der Luft gegriffen.

[1] Die Verwendung des Davidsterns statt des sonst als genealogisches Zeichen üblichen Sternchens (*) soll im Semi-Gotha in abwertender Absicht die jüdische Herkunft des Genannten herausstreichen.

[2] Walther Rathenau hatte Schloss Freienwalde 1909 gekauft (siehe dazu Anna Teut, Bürgerlich königlich. Walther Rathenau und Freienwalde, Berlin 2007).

Rothschild de Randeck

Konfession: jüdisch?

Adelstitel: 1965 Verleihung des sanmarinesischen Titels »nobile« an Jean Henry de [?!] Rothschild (de Randeck) (1914–1998), geboren in Basel und gestorben in St Cloud bei Paris [1]

Das Annuario della Nobiltà Italiana (siehe unten) sieht den Geadelten (über den bislang nichts Näheres bekannt ist) als Mitglied der berühmten Bankiersfamilie Rothschild an. Eine Verwandtschaft dürfte zwar nicht bestehen, auch dieser »de Rothschild« ist aber wohl zumindest jüdischer Herkunft. Als seine Eltern werden ebd. genannt Ferdinando (Sohn des Lazare) Rothschild und Paula Bloch. Diese Angaben könnten darauf hindeuten, dass der Geadelte ein Bruder des St. Gallener Rabbiners Lothar Simon Rothschild (1909–1974) [2] war, Sohn des Kaufmanns Ferdinand Rothschild und der Paula geb. Bloch. Dessen Familie lebte um 1910 in Karlsruhe und ab 1918 in der Schweiz. Das Prädikat »Randeck« könnte im Übrigen auf Randegg bei Konstanz verweisen, von wo diese Familie Rothschild vielleicht ursprünglich stammte (dort wurden im 19. Jahrhundert zumindest einige Rothschilds beerdigt, vgl. ein Foto unter http://www.alemannia-judaica.de/randegg_friedhof.htm).

Literatur: Annuario della Nobiltà Italiana, Neue Folge, 31. Ausgabe (2010), Bd. 3, S. 1195f.

[1] Für die Lebensdaten, Geburts- und Sterbeorte siehe https://deces.politologue.com/de-rothschild-de-randeck-jean-henry.uOvYRp7jAOLXROL0MG70hGL08Cvjrpvj8Ov0ApvYROvxh (»Jean Henry de Rothschild de Randeck«).

[2] Über ihn siehe Biographisches Handbuch der Rabbiner, hg. von Michael Brocke und Julius Carlebach, T. 2: Die Rabbiner im Deutschen Reich 1871–1945, bearb. von Katrin Nele Jansen, Bd. 1, S. 523.

Wolf (Odessa / Meiningen / Wiesbaden)

Konfession: jüdisch

Adelstitel: 1872 sachsen-meiningischer Freiherrnstand für August (Freiherrn von) Wolf (Lebensdaten wohl: 1828–1888), sachsen-meiningischer Generalkonsul a.D. in [?] Meiningen

Um 1880 soll Wolf in Wiesbaden gelebt haben; dass er zum Zeitpunkt seiner Nobilitierung in Meiningen wohnte, könnte eine irrtümliche Angabe sein. Offenbar ist er im Übrigen identisch mit dem Kaufmann jüdischen Glaubens August Wolf in Odessa, der dort um 1860 auch schon einige Jahre lang Konsul für Mecklenburg-Schwerin gewesen war und in die bedeutende Bankiersfamilie Raffalovich eingeheiratet hatte (welche wiederum unter anderem mit den Morpurgos in Triest verschwägert war und in Odessa ebenfalls verschiedene Staaten konsularisch vertrat). Wolfs Schwiegervater Abraham Moses Raffalovich soll 1857 zum Christentum konvertiert sein; ob auch Wolf sich taufen ließ, ist bislang nicht bekannt.

Literatur: Adelslexikon, Bd. 16 (2005) (= Genealogisches Handbuch des Adels, Bd. 137), S. 331; Maximilian Gritzner, Standes-Erhebungen und Gnaden-Acte deutscher Landesfürsten während der letzten drei Jahrhunderte. Nach amtlichen Quellen gesammelt und zusammengestellt, Bd. 2, Görlitz 1881, S. 646 — August Wolf in Odessa und seine Schwäger David und Leon Raffalovich werden als Konsuln erwähnt bei Erik Amburger, Die Konsulate der Freien Stadt Frankfurt, Kurhessens, Hessen-Darmstadts und Nassaus im Russischen Reich, in: Festschrift für Heinz F. Friederichs, hg. von Gerhard Geßner, Neustadt/Aisch 1980, S. 15–25, hier S. 24

Internetressource: genealogische Angaben zu Baron August von Wolf unter http://www.geni.com/people/August-von-Wolf/6000000010763057827 (verlinkt mit Angaben zu Mitgliedern der Familie Raffalovich)

Worms

Konfession: jüdisch

Adelstitel: 1. 1871 österreichischer Freiherrnstand für Salomon Benedict (Freiherrn von) Worms (1801–1882), Bankier in London (als Ritter des Ordens der Eisernen Krone 2. Klasse); 1874 britische Anerkennung (als »Baron de Worms«) — 2. 1895 britisches Baronat (als »Baron Pirbright«) für seinen Sohn Baron Henry de Worms (1. Baron Pirbright) (1840–1903), Jurist und Politiker, bis 1895 Member of Parliament und ehemals Under-Secretary of State for the Colonies, seit 1888 Privy Counsellor

Salomon (Solomon) Benedict de Worms war durch seine Mutter ein Neffe der fünf legendären Rothschild-Brüder, die 1816/22 geadelt worden waren.

Literatur: Adelslexikon, Bd. 16 (2005) (= Genealogisches Handbuch des Adels, Bd. 137), S. 367f.; Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Freiherrlichen Häuser, Bd. 57 (1907), S. 928, u. Bd. 67 (1917), S. 1107

Internetressourcen: Artikel »Solomon Benedict de Worms« und »Henry de Worms« in der englischsprachigen Wikipedia

Levita-Rechten

Konfession: katholisch (jüdischer Herkunft)

Adelstitel: 1869 großherzoglich hessischer Adelsstand für Dr. iur. Karl (von) Levita(-Rechten) (1823–1873?), gebürtig aus Mainz, großherzoglich hessischer Geheimer Justizrat in Paris (später der dortigen deutschen Botschaft zugeteilt), bis 1863 außerordentlicher Professor an der Universität Gießen

Die Ehe des Geadelten mit Caroline geb. Gräfin von Normann-Ehrenfels blieb kinderlos. Sein Vater Dr. iur. Johann Heinrich Levita, später Vizepräsident des Mainzer Kreisgerichts, hatte sich (und vermutlich zugleich oder zeitnah seine Familie) 1826 taufen lassen. Dessen Vater Israel Bär Levita war Rabbiner in Osterode am Harz, später in Rotenburg an der Fulda gewesen.

Literatur: Adelslexikon, Bd. 7 (1989) (= Genealogisches Handbuch des Adels, Bd. 97), S. 321; Maximilian Gritzner, Standes-Erhebungen und Gnaden-Acte deutscher Landesfürsten wäh­rend der letzten drei Jahrhunderte. Nach amtlichen Quellen gesammelt und zusammen­ge­stellt, Bd. 2, Görlitz 1881, S. 530 (mit der Angabe »getaufter Israelit«)

Internetressource: biographische und genealogische Angaben unter http://www.geni.com/people/Prof-Dr-Carl-von-Levita-Rechten/6000000029919301195